Wenn Evidenz zum Hebel wird: Einblicke in die Arbeit der Education Endowment Foundation (EEF)
Eine Strategie auf drei Säulen
Seit ihrer Gründung verfolgt die EEF ein klares Ziel: Bildungsungleichheiten durch eine bessere Nutzung empirischer Daten zu verringern. Dazu setzt sie auf drei Aktionsfelder:
Erstens organisiert und finanziert sie Forschungsprojekte (randomisierte kontrollierte Studien und qualitative Analysen), um Lücken in der Evidenz zu schliessen.
Zweitens werden die Ergebnisse in klarer Sprache aufbereitet: Das Teaching & Learning Toolkit übersetzt wissenschaftliche Studien in leicht verständliche Empfehlungen und macht evidenzbasierte Erkenntnisse besser zugänglich – es hilft dabei, Fachjargon und Paywalls zu überwinden und beugt dem selektiven Zitieren einzelner Studien (sogenanntes Cherry-Picking) vor.
Drittens mobilisiert die EEF empirische Daten auf allen Ebenen des Schulsystems – von der Politikgestaltung bis hin zum Unterricht im Klassenzimmer.
Diese drei Aktionsfelder zeigen sich in konkreten Werkzeugen, aktiven lokalen Netzwerken und im ständigen Bemühen, Forschung in Handeln zu übersetzen.
Ein zentrales Werkzeug: das Teaching and Learning Toolkit
Im Herzen dieser Strategie steht das Teaching and Learning Toolkit, eine ständig wachsende Datenbank, die Wirkung, Evidenzstärke und Kosten von mehr als 30 pädagogischen Ansätzen anhand von über 5’000 Studien zusammenfasst. Es handelt sich nicht um ein universelles Rezept, sondern um eine Ressource, die Fachpersonen im Alltag mit Kindern unterstützen soll.
Was macht diese „Werkzeugkiste“ besonders wirksam? Sie ist kostenlos, jederzeit zugänglich, kontinuierlich aktualisiert und spricht die Sprache von Lehrpersonen ebenso wie von Entscheidungsträger:innen: klar, prägnant und praxisnah. Die Plattform hilft zudem, einer Instrumentalisierung wissenschaftlicher Daten vorzubeugen – also dem Cherry-Picking, bei dem nur die Studien herausgegriffen werden, die ein bestimmtes Argument stützen, während der Rest der Literatur ignoriert wird. Mit dem Toolkit können sich Lehrkräfte und Entscheidungsträger:innen auf von der EEF geprüfte, aggregierte Daten stützen.
Wissenschaftliche Evidenz allein reicht nicht
Gute Evidenz, selbst wenn sie sehr zugänglich ist, reicht nicht aus, damit sie tatsächlich in der Praxis genutzt wird. Veränderung in der Praxis erfordert mehr als einen gut geschriebenen Bericht: Es braucht Begleitung, Vertrauen, Wiederholung und Zeit. Das hat die EEF verstanden: Wissensverbreitung geschieht über vielfältige Ressourcen, Communities of Practice, politische Unterstützung und eine klare Strategie zur Skalierung. Zwei Fallstudien illustrierten diesen Ansatz im Webinar:
Fall 1: Neutrale Standards in der Bildungspolitik verankern
Im Rahmen einer Reform der Lehrpersonenbildung im Vereinigten Königreich wurde die EEF von der Regierung beauftragt, Mindeststandards für Qualität zu definieren – bei gleichzeitiger Wahrung ihrer wissenschaftlichen und politischen Unabhängigkeit. Eine heikle Position, die jedoch half, eine politische Instrumentalisierung der Reforminhalte zu verhindern und eine solide, evidenzbasierte Basis zu schaffen.
“Embedding evidence and having a fully referenced framework that’s being quality-assured by a non-state organization is not only good for evidence-based practice, but it’s actually good for policymaking, because it gives reforms a longevity they otherwise wouldn’t have had.”
Jonathan Kay, EEF
Fall 2: Nutzung von Evidenz in den Schulen fördern
Vor Ort hat die EEF ein Modell der Ko-Konstruktion mit Lehrpersonen und Schulleitungen entwickelt: Evidenzbasierte Empfehlungen werden gemeinsam erarbeitet, lokal getestet und an die lokalen Kontexte angepasst. Um ihre Verbreitung zu fördern, wurde ein Netzwerk von Research Schools aufgebaut – Referenzschulen, die andere Schulen dabei unterstützen, evidenzbasierte Lösungen umzusetzen.
„It’s all very well having the evidence, it’s all very well making that evidence accessible to policy makers and teachers, but on its own it won’t be enough to change people’s behavior.“
Jonathan Kay, EEF
Nachhaltige Umsetzung
Für das Team von Chance Digitalität war eine der wichtigsten Erkenntnisse des Webinars: Erfolg entsteht nicht durch ein einzelnes evidenzbasiertes Werkzeug oder eine wissenschaftliche Studie allein, sondern durch eine langfristige Umsetzung mit Bildungsakteur:innen auf allen Stufen. Verhaltensänderungen erfordern Vorbereitung, Kontextsensibilität und oft auch kollektive Anstrengungen über längere Zeit. Auch wir teilen diese Werte und achten darauf, jede unserer Aktivitäten sorgfältig an lokale Kontexte und Bedürfnisse anzupassen. Das ist wichtig, denn die Arbeit mit Daten und Evidenz braucht eine solide Vertrauensgrundlage.
Zwischen kantonaler Autonomie und gemeinsamen Standards: Perspektiven für die Schweiz
Das Beispiel der EEF lädt nicht dazu ein, in einem Land mit kantonaler Zuständigkeit für Bildung ein zentralisiertes Modell aufzubauen. Im Gegenteil: Es zeigt, dass eine respektvolle Governance der lokalen Besonderheiten mit gemeinsamen Orientierungsrahmen koexistieren kann – vorausgesetzt, die Umsetzung wird sorgfältig gestaltet.
Die Erfahrungen der EEF zeigen, dass gemeinsame Mindeststandards zwischen Kantonen – sei es in Bildungszielen oder in der Schulorganisation – Steuerung erleichtern, die administrative Nachverfolgung vereinfachen und die Chancengerechtigkeit unter Schweizer Schüler:innen stärken können. Die Zusammenarbeit mit unabhängigen, politisch neutralen Akteuren, die sich auf empirische Evidenz stützen, erhöht die Akzeptanz und Nachhaltigkeit solcher Massnahmen über kantonale politische Zyklen hinaus.
Netzwerke als Wissensdrehscheiben
Eine weitere zentrale Erkenntnis: Wissenschaftliche Evidenz verändert allein wenig. Es sind die Peer-to-Peer-Austausche, Diskussionsräume und Communities of Practice, die Daten in Handeln verwandeln und Forschungsergebnisse in konkrete pädagogische Massnahmen übersetzen.
Solche Netzwerke zu schaffen und zu pflegen, erfordert Zeit, Ressourcen und politischen Willen für Offenheit und Transparenz – innerhalb und zwischen den Kantonen. Es bedeutet auch, externen Akteuren Raum zu geben, die neue Ideen einbringen, den Austausch dynamisieren und Erfahrungen miteinander verbinden. Die EEF hat das im Vereinigten Königreich vorgemacht. In der Schweiz setzt sich Chance Digitalität dafür ein, ähnliche Dynamiken zu fördern, indem wir Verwaltungen, Schulleitungen und andere Bildungsakteur:innen zusammenbringen, um eine lebendige, inspirierende und praxisnahe Datenkultur zu entwickeln.
Das Webinar nachschauen
Die Aufzeichnung des Webinars mit Jonathan Kay ist hier verfügbar.